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Die Deutschen

Beispiele 1945-1953

Heinrich George: Ein Mensch im Glanz...

Die Sowjets verhaften den Staatsschauspieler Heinrich George nach Kriegsende und inhaftieren ihn im ehemaligen KZ Sachsenhausen, das jetzt als Gefangenenlager dient. Auch in Gefangenschaft spielt George weiter Theater: Er studiert eine seiner großen Rollen, den „Postmeister“, auf Russisch ein. Er kann die Sprache nicht, eignet sich Puschkins Text phonetisch an.

Über zwei Jahrzehnte ist er einer der beliebtesten Schauspieler in Deutschland. Er arbeitet mit Brecht und Piscator; brilliert im Film „Berlin Alexanderplatz“ als Franz Biberkopf, ist unbestritten einer der großen Charakterdarsteller der Weimarer Republik. Auch politisch bezieht er Stellung: Noch in den zwanziger Jahren tritt George als Redner für die KPD auf.

Dann arrangiert er sich mit dem neuen System. In den folgenden Jahren wird er zu einem der herausragenden Repräsentanten des NS-Films, wobei er sich als überaus wandlungsfähiger Schauspieler erweist: In „Das unsterbliche Herz“ spielt er einen Uhrmacher, der für seine Idee in den Tod geht. Im „Jud Süß“ liefert er als dekadenter Herzog das Land seinem jüdischen Finanzberater Oppenheimer aus. In „Kolberg“ ruft er als Bürgermeister der von Napoleons Truppen belagerten Stadt zum Widerstand bis zur letzten Patrone auf.

Im Lager sagt George einmal zu einem Mithäftling: „Ich habe das Leid der Verfolgten damals einfach... nicht sehen wollen. Ein Mensch im Glanz wird leicht kurzsichtig.“ Er ist vor allem ein Theatersüchtiger, der mit viel Talent und großem Ehrgeiz in die falsche Zeit geboren ist.

Er bezahlt mit seinem Leben. Als Heinrich George am Blindarm operiert werden muss, verzögern seine Bewacher die Behandlung. Zwei Tage nach dem Eingriff stirbt Heinrich George Ende September 1946 in Sachsenhausen.

Straßenkunst: Das Leben als Drahtseilakt

Im warmen Sommer 1945 entdecken Künstler die Straße als Bühne. Schausteller, Artisten und Schauspieler präsentieren ihre Programme unter freiem Himmel. Konzerte finden in fensterlosen Kirchen ohne Dach, Lesungen auf Steinhaufen, Theatervorstellungen unter zerschossenen Arkaden statt: Selten ist die Kunst ein solches Überlebensmittel wie unmittelbar nach dem Krieg. Der Tanz der Hochseilartisten zwischen den beiden Domen auf dem Berliner Gendarmenmarkt wird zum Symbol des Lebensgefühls einer ganzen Generation.

Während der letzten Kriegsjahre sind Jahrmärkte verboten gewesen. Jetzt gehen alte Karussells und Geisterbahnen wieder in Betrieb. Die Attraktionen der Märkte sind die Verlosungen von Lebensmitteln. In notdürftig gezimmerten Losbuden locken Würste, Schinken und Eier als Gewinne. Die Besucher bezahlen mit Zigaretten, Reichsmark oder Naturalien. Die Veranstaltungen finden nur tagsüber statt, weil Strom rationiert ist.

Auf der ersten „Cranger Kirmes“ im westfälischen Herne gibt es im August 1946 wieder Eiscreme. In einer Gaststätte wird laut Zeitungsmeldung „Heringssalat ohne Lebensmittelmarken“ verkauft. Stadtdirektor Karl Hölkeskamp stellt im November desselben Jahres dennoch fest, dass die Bevölkerung von Herne wegen der schlechten Ernährungslage „theoretisch“ tot sein müsse.

Die großen deutschen Zirkusbauten in Dresden und Hamburg sind in Flammen aufgegangen. Gegen die Direktoren beliebter Zirkusse wie Busch, Krone und Sarrasani laufen Entnazifizierungsverfahren, da sie Zwangsarbeiter beschäftigt oder jüdischen Besitz übernommen haben. Aber nach der Entnazifizierung oder Zahlung von „Sühnegeldern“ dürfen sie die Vorstellungen – mit riesigem Erfolg – wieder unter ihren Namen präsentieren.

Fünfeichen: Ein sowjetisches Lager
auf deutschem Boden

Während der sechs Kriegsjahre internieren die Nationalsozialisten mehr als 50000 Kriegsgefangene aus zehn Nationen im Speziallager (Stalag II A) auf dem ehemaligen Gut Fünfeichen nahe Neubrandenburg. Die Sowjetarmee übernimmt das Lager und führt es bis zum Januar 1949 weiter. Von 15000 Gefangenen werden 5000 sterben.

Hunger, Unterernährung und Krankheiten wie Diphtherie, Typhus, Enteritis, Ruhr und Tuberkulose dezimieren die Insassen. Zwar gelten in allen elf sowjetischen Speziallagern der Besatzungszone formal die zivilen Verpflegungssätze von täglich 600 Gramm Brot. Im Lager gibt es aber nur zwischen 200 und 400 g, dazu einen Löffel Zucker sowie zweimal täglich einen Dreiviertelliter Wassersuppe, die manchmal mit Zuckerrüben oder Sauerkraut gestreckt ist.

Die Zwei- und Dreistockpritschen in den Baracken sind so stark verwanzt und mit Flöhen und Läusen verseucht, dass die Wachen alle Strohsäcke entfernen lassen und die Häftlinge für anderthalb Jahre auf blanken Brettern schlafen müssen. Kohle und Holz ist knapp und heizt die Unterkünfte im Winter kaum über den Gefrierpunkt auf. Da die Gefangenen den Boden auf Befehl hin täglich nass wischen, laufen sie im Winter oft über eine Eisschicht.

Interniert sind Gau-, Kreis- und Ortsgruppenleiter, Angehörige von Polizei und Gestapo, Personal von Konzentrationslagern, Justizbeamte, Wirtschaftsleiter und Verwaltungsbeamte. Nur wenige Inhaftierte kennen den genauen Grund ihrer Festsetzung. Viele werden nie vor Gericht gestellt.

Die Toten lässt die Lagerleitung im Wald verscharren, ihre Angehörigen werden nicht in Kenntnis gesetzt. Als 1949 die letzten Häftlinge das Lager verlassen, verbietet ihnen die Lagerleitung, über ihre Haft in Fünfeichen zu sprechen.

Theater 1945: Der ungeheure Hunger nach Kultur

Von den 262 deutschen Theatern sind zu Kriegsende erstaunlicherweise nur 28 komplett zerstört. Aber fast alle sind mehr oder weniger stark beschädigt. Dennoch nehmen viele Bühnen den Betrieb sehr schnell wieder auf. Schon dreieinhalb Wochen nach der Kapitulation hat im Berliner Renaissance-Theater nahe dem Bahnhof Zoo Franz von Schönthans Posse „Der Raub der Sabinerinnen“ Premiere.

Einen Monat später spielt das in der Trümmerlandschaft von Berlin Mitte wie durch ein Wunder beinahe unzerstörte Deutsche Theater Friedrich Schillers „Der Parasit oder Die Kunst, sein Glück zu machen“. Das Stück läuft auf Druck der Sowjets nur kurze Zeit. Die Schauspieler werden mit 500 Reichsmark und einem Fresspaket abgefunden. Zur gleichen Zeit beginnt das Kreuzberger Hebbel-Theater mit den Proben zu Brechts „Dreigroschenoper“. Ende August präsentieren die „Städtischen Bühnen Friedenau“ die erste Opernproduktion nach Kriegsende. Ein pensionierter Sänger hat Rossinis „Barbier von Sevilla“ für Klavier und Kleines Streichorchester arrangiert. Zur zweiten Nachkriegsspielzeit vergibt die US-Militärregierung in ihrem Sektor mehrere hundert Theaterlizenzen.

Die Schauspielerin Inge von Wangenheim erinnert sich an eine Aufführung von „Nathan der Weise“ im Deutschen Theater: „Das Publikum saß in Decken, Mänteln und Handschuhen ausgehungert, erkältet und erschöpft im ungeheizten Theater. Aber all das zählte nicht – das Publikum wuchs mit diesem Stück der ersten Stunde über sich hinaus. Zu Füßen des weisen alten Juden... saßen die Menschen und weinten“.

Die Sehnsucht nach Kultur, nach ein wenig Ablenkung, Trost und Aufmunterung, ist riesig. Insgesamt finden in den sieben Monaten von Juni bis Dezember 1945 in Berlin über 120 Premieren statt.

Die Jecken: Karneval in Trümmern

Ein paar junge Stammtischfreunde sind im Oktober 1945 überzeugt: „Et muß widder jet ze laache jevve!“ Sie heben am 11.11. die „Kölnische“ aus der Taufe, einen ersten neuen Karnevalsverein. Die Zeitungsnachricht über das Treffen der Jecken ist ziemlich robust: „Eine karnevalistische Veranstaltung hatte im nördlichen Stadtteil eine Anzahl Prothesenträger des Krieges zusammengeführt, wobei ein junger Beinamputierter mit unverwüstlichem Humor das Präsidentenzepter führte.“

Bis zur ersten Karnevalssitzung vergeht fast ein Jahr. Im Herbst 1946 begrüßen die Jecken im Kölner „Bavaria Palast“ die Besucher zum ersten Nachkriegsprogramm mit dem Titel: „Laach dich kapott.“ Im „Tazzelwurm“ auf der Zülpicher Straße singt Karl Berbuer Ende des Jahres sein „Kartoffellied“ und im Kölner Dialekt seine Referenz an die britischen Besatzer: „Au yes Marie, au yes“.

Die Nachbarn ziehen nach. „Der „Allgemeine Verein“ in Düsseldorf feiert seine erste Nachkriegssitzung in einer Maschinenhalle. Der Betonboden ist derart staubig, „dass die Besucher wie mit Zuckerguss bespritzte Weckmänner aussehen. Der Eintritt zu den bescheidenen Fastnachtsfreuden wird, da es kaum etwas zu heizen gibt, mit ein paar Briketts bezahlt.“

In Köln verbietet der Stadtrat 1947 Veranstaltungen in der närrischen Zeit: „Über dem Karneval steht der Ernst der Zeit. Um ihm für zukünftige bessere Tage den Charakter eines Volksfestes zu wahren, ist für das Jahr 1947 die Veranstaltung von organisierten Umzügen, öffentlichen Maskenbällen und Kostümfesten nicht zugelassen.“

Erst 1949 findet erstmalig wieder ein Umzug statt. Er steht unter dem Motto: „Mer sin widder do un dun wat mer künne“.

Die Trümmerfrauen: 200 g Fett Sonderration

Da viele Männer gefallen, vermisst, verwundet oder in Kriegsgefangenschaft sind, räumen Frauen die deutschen Trümmerlandschaften auf. Allein in Berlin schuften 60000 Frauen in den Ruinen und auf den kaum begehbaren Straßen.

Ständiger Hunger, fehlendes Wasser, Sorge um vermisste Angehörige, halb zerstörte Wohnungen und eisige Kälte bestimmen das Leben im Winter 1945/46. Interessant für die Trümmerfrauen sind weniger die 70 Pfennig Lohn pro Stunde als vielmehr die höheren Lebensmittelrationen, denn Schwerarbeiterinnen steht ein Zuschlag von 200 Gramm Fett gegenüber der „Hausfrauenkarte“ zu. Den Hunger kann aber auch diese Ration nicht vertreiben.

Die Frauen räumen Steine beiseite, klopfen Mörtel von wiederverwendbaren Quadern, schleppen alte Stahlträger und Granitbrocken auf Baustellen. Weil es an Pferden fehlt, ziehen sie die beladenen Wagen selbst. Der Schutt türmt sich zu ganzen Hügeln auf, so um den Flakbunker am Humboldthain. Auch der Teufelsberg nahe dem Grunewald und der spätere Volkspark Friedrichshain entsteht aus den Trümmern des Krieges.

Aber die erschöpften Berlinerinnen und ihre Leidensgenossinnen in den anderen zerstörten Städten leisten weit mehr als Aufräumarbeit. Ein halbes Jahr nach Kriegsende ist ganz Deutschland in der Hand von Frauen. „Das Fernsein der Männer und Väter in der Not der Nachkriegszeit erzwang weibliche Emanzipation und Autonomie“, schreibt Hermann Glaser. Und er bedauert tief, dass die Chance dieses Fortschritts vertan wird, weil die Frauen in ihrem „Streben nach einem Familienglück“ zurücktreten, als ihre Männer heim kommen.

Hildegard Knef: Die Sünderin

Ein Film sorgt im Winter 1951 für Aufregung. Die „Sünderin“ schockiert durch eine Szene, in der für einen Moment die Brüste der jungen Hauptdarstellerin Hildegard Knef zu sehen sind. Sie spielt die ehemalige Prostituierte Marina, die sich in den krebskranken Maler Alexander verliebt. Marina verhilft ihrem erfolglosen Geliebten durch Geld, das sie in ihrem alten Gewerbe verdient, zu einigen glücklichen Wochen. Als der Maler erblindet, erlöst sie ihn von den Qualen und tötet ihn und sich selbst mit einer Überdosis Veronal. Der melodramatische Film wird mit über sieben Millionen Zuschauern ein riesiger Kassenerfolg.

Die vermeintliche Urberlinerin Hildegard Knef wird im Dezember 1925 in Ulm geboren. Ein Jahr später stirbt ihr Vater, ein Tabakfabrikant, worauf ihre Mutter in die Hauptstadt übersiedelt. Hildegard bricht die Schule mit fünfzehn Jahren ab. Sie will unbedingt zum Film und beginnt in der Trickfilmabteilung der „Ufa“ eine Ausbildung zur Zeichnerin. Gleichzeitig nimmt sie Schauspielunterricht.

Als Hildegard Knef in der Rolle als Sünderin provoziert, ist sie schon ein Star. Den Durchbruch bringt ihr der erste Nachkriegsfilm: „Die Mörder sind unter uns.“ Als Susanne Waller verkörpert Knef die Insassin eines Konzentrationslagers, die trotz ihrer Erlebnisse unbedingten Lebenswillen ausstrahlt. Sie legt eine Haltung an den Tag, mit der die Knef im realen Leben selbst beeindrucken wird, als sie immer wieder Krankheiten durchleiden und persönliche Rückschläge verkraften muss.

Der Film wird zur Eintrittskarte ins amerikanische Show-Business. „Silk Stockings“ mit der Musik von Cole Porter und Hildegard Knef als Ninotschka ist auf dem New Yorker Broadway eines der meistbesuchten Musicals der Jahre 1955 und 1956.

Adolf Hennecke: 387 Prozent über dem Plan

Der 1905 in Meggen geborene Bergmann Adolf Hennecke ist 43 Jahre alt, als die SED mit einem Auftrag an ihr Mitglied herantritt. Nach dem Muster des Bergmannes Alexej Grigorjewitsch Stachanow aus der UdSSR will die Partei Hennecke zum Vorbild einer „Aktivistenbewegung“ zur Übererfüllung der Arbeitsnorm aufbauen.

Der SED-Kader soll in einer Schicht weit mehr Kohle als im Plan festgeschrieben schlagen. Hennecke weiß, dass er von den Kumpels keinen Zuspruch erwarten kann. Er sitzt zwischen den Stühlen und entscheidet sich gegen die Arbeitersolidarität und für seine Pflicht als Parteisoldat.

Die Abbaustelle hat Hennecke selbst ausgewählt. Am 13. Oktober 1948 um 13.15 Uhr fährt er in den Schacht der Grube „Karl Liebknecht“ ein und fördert in sechs Stunden 24,4 m³ bzw. 537 Zentner Kohle. Das übersteigt die Arbeitsnorm um 387 Prozent. Für die Kumpels im Zwickau-Oelsnitzer Steinkohlerevier ist Hennecke ein Normbrecher. Kollegen beschimpfen ihn, werfen die Scheiben seines Häuschens ein und zünden sogar sein Auto an. Der Partei dagegen gilt Hennecke als Held der sozialistischen Arbeit. Er beweist, daß Produktivitätssteigerung möglich ist. Die Zeitungen titeln „Henneckes Beispiel reißt uns alle mit“ und „Wir brauchen viele Henneckes“.

Der Aktivist macht Karriere. Zunächst als leitender Mitarbeiter der Staatlichen Plankommission, dann als Mitglied im Zentralkomitee der SED. Sein Name fließt sogar in den Sprachalltag der DDR ein, allerdings nicht so, wie es sich der Held der Arbeit wohl wünscht. „Hennecken“ steht fortan für Arbeitshetze und Abnormitäten. „Es gießt wie Hennecke“ oder „Der rennt wie Hennecke“ sind noch die harmlosesten Varianten.

Dr. Franz Richter: Die Enttarnung

Im Februar 1952 wird der Parlamentarier Dr. Franz Richter von der Sozialistischen Reichspartei (SRP) im Bundestag verhaftet. Er lebt seit Jahren mit einer falschen Identität. In Wirklichkeit heißt der Abgeordnete Fritz Rößler. Er ist ein ehemaliger sächsischer Gauhauptstellenleiter der NSDAP und früheres Mitglied der Reichspropagandaabteilung.

Nach dem Krieg entgeht der 1912 geborene Rößler, NSDAP-Mitglied seit 1930, der Strafverfolgung durch die Alliierten, indem er sich als Dr. Franz Richter ausgibt. Er gibt an, im türkischen Izmir geboren zu sein, in Prag studiert und im Sudetenland als Studienrat gearbeitet zu haben. Durch die falschen Angaben, die wegen der Kriegszerstörungen und des tiefen Grabens zwischen Ost und West kaum überprüfbar sind, erschleicht er sich eine Anstellung als Lehrer. Wegen wiederholter rechtsextremer Äußerungen wird der aber schon im Mai 1949 wieder entlassen.

Rößler wechselt in die Politik. Nachdem er zunächst in deutschnationalen und rechtsextremen Zirkeln engagiert ist, tritt er im September 1950 zur Sozialistischen Reichspartei (SRP) über. Sie ist ein Sammelbecken ehemaliger NSDAP-Mitglieder. Der SRP gelingt sogar der Einzug in den Bundestag, wo sich ihre Vertreter vor allem als Störer und Zwischenrufer profilieren. So beschimpft Richter den SPD-Abgeordneten Carlo Schmidt, als er sich für Entschädigungszahlungen an Israel ausspricht.

Rößler wird wegen Urkundenfälschung zu 18 Monaten Haft verurteilt. Seine Partei versucht sich im Herbst 1952 dem Verbot durch Selbstauflösung zu entziehen, um Mandate und Parteivermögen nicht zu verlieren. Das Bundesverfassungsgericht vereitelt diese Strategie erfolgreich. Es streicht sämtliche Mandate der SRP und zieht das Parteivermögen ein.

Peter Müller: „De Aap“ darf wieder boxen

Am 8. Juni 1952 findet in Köln der Kampf um die deutsche Mittelgewichtsmeisterschaft im Boxen statt. Angetreten sind Hans Stretz und der Kölner Peter Müller, der wegen seiner für ihn typischen gebückten Haltung den Spitznamen „de Aap“ (der Affe) trägt.

Müller fällt vor allem durch schlechte Technik und häufiges Klammern auf. Ringrichter Max Pippow muss ihn immer wieder ermahnen. Auch in der achten Runde holt er die Kontrahenten aus dem Infight. In diesem Moment verliert Müller völlig die Kontrolle. Unvermittelt schlägt er den Ringrichter mit einem rechten Haken k.o. und streckt auch noch vier Sekundanten nieder. Dann greift er seinen Manager an. Erst ein halbes Dutzend Polizisten und Helfer können ihn stoppen. Müller wird mit einer lebenslangen Sperre belegt. Schon ein knappes Jahr später hebt ein Zivilgericht das Urteil auf. „De Aap“ darf wieder boxen.

Müller wird im Laufe seiner Karriere dreimal deutscher Meister im Mittelgewicht, schafft aber nie den Sprung in die europäische Spitze. Seine zwei Versuche, Europameister zu werden, enden kläglich: 1959 ist sein Kampf gegen Bubi Scholz nach zwei Minuten zu Ende, 1963 verliert er gegen Laszlo Papp in Runde vier.

Als er 1966 gegen Jupp Elze schon in der zweiten Runde k.o. zu Boden geht, beendet der fast vierzigjährige Müller nach 176 Kämpfen seine Karriere als Profiboxer. Er verdient sich danach als Catcher und Ringrichter sein Geld, investiert in den Autohandel, singt im Karneval kölsche Lieder und bringt als Schlagersänger eine Single mit dem Titel „Ring frei zur nächsten Runde“ auf den Markt. Peter „de Aap“ Müller stirbt 1992 im Alter von 65 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalles. Er ist in Köln bis heute unvergessen.

Alltag in der DDR: Bückware und kleine Preise

Das Sprichwort „Eine Hand wäscht die andere“ hat in den fünfziger Jahren in der DDR sehr praktische Bedeutung. Ohne gute Beziehungen oder adäquate Tauschware sind diverse Artikel, die es nur „unter dem Ladentisch“ gibt, für den Normalbürger einfach nicht erhältlich. Andere Waren sind, gemessen am Einkommen, sehr teuer: Mäntel und Schuhe, Hosen und Kleider, Kindersachen und Bettwäsche.

In der Bevölkerung kursieren zahllose Witze über den Mangel: Eine Frau kommt in ein Geschäft und fragt den Verkäufer, ob er Bettwäsche verkaufe. Er antwortet: „Wir haben keine Handtücher. Keine Bettwäsche gibt es nebenan.“ In einem Bericht an das SED-Politbüro heißt es über das Kaufverhalten der DDR-Bürger: „Viele bzw. die meisten Verkäufe kommen nur zustande, weil die Kundschaft resigniert; sie kauft, weil sie nicht daran glaubt, doch zu der Ware zu kommen, die sie tatsächlich kaufen möchte.“ Die Rationierung in der DDR wird erst Mitte 1958 abgeschafft – zehn Jahre, nachdem die Lebensmittelkarten in der Bundesrepublik verschwunden sind. Prekär ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Die Bausubstanz ist angegriffen; Fenster schließen nicht, Strom- und Wassersperren sind alltäglich. Noch viele Jahre werden zwei Drittel aller Wohnungen kein Bad und WC, ein Drittel kein fließendes Wasser haben. Die SED kann sich zumindest die Preise zugute halten. 1950 muss eine Familie nur vier Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben. Auch die Kosten für Heizung und Strom liegen auf diesem Niveau.

Die Preise können aber nur durch hohe Subventionen gehalten werden, die zu Lasten notwendiger industrieller Investitionen gehen. Ein Ausweg aus der Misere ist nicht in Sicht.

Wilhelm Kaisen: Landwirt und Politiker

Wilhelm Kaisen arbeitet im April 1945 wie jeden Tag auf seinem kleinen Hof im ländlichen Bremer Stadtteil Borgfeld, als ein Auto vorfährt: „Ich war gerade beim Pflügen..., als ein Amerikaner stolz mit einem Jeep bei mir auf den Acker fuhr. Ich denke: Was ist denn da los? Eingenommen sind wir doch schon. Geht der Krieg schon wieder los? Plötzlich kam ein Colonel zu mir, stellte sich vor und ich sag': ›Ja, und?‹ – ›Sie sind der lang Gesuchte. Endlich habe ich Sie gefunden. Sie müssen mit mir zum Rathaus kommen und dann mit dem Senat zusammen den Wiederaufbau beginnen.‹“ Es ist der Beginn einer zwanzigjährigen Amtszeit.

Der in Bremen so hoch geschätzte Bürgermeister wird 1887 – ausgerechnet – in der benachbarten Hansestadt Hamburg geboren. Den Besuch einer höheren Schule kann ihm die Familie nicht finanzieren. Früh muss er als Hilfsarbeiter und Stuckateur sein Geld verdienen. 1905 tritt Kaisen in die SPD ein, die ihn einige Jahre später auf die Parteischule nach Berlin schickt. Hier lernt er Helene Schweida kennen, seine spätere Ehefrau, in deren Heimatstadt Bremen er nach Jahren als Soldat übersiedelt. Kaisen gewinnt schnell an politischem Gewicht, zuerst als Mitglied der Bürgerschaft und nach 1928 als Sozialsenator. Aber 1933 ist es vorbei mit der Karriere. Kaisen zieht sich auf seinen kleinen Bauernhof zurück.

Als Bürgermeister ist der volksnahe Kaisen ein großer Integrator und überzeugter Europäer. Sein Bündnis von Kaufleuten und Arbeitern, das er auch nicht aufkündigt, als die SPD Ende der fünfziger Jahre die absolute Mehrheit gewinnt, verknüpft die Tradition der Bremer Bürger und Kaufleute mit sozialdemokratischen Prinzipien.

Seinen Hof wird Kaisen an den Wochenenden bis ins hohe Alter bewirtschaften.

Walter Ulbricht: Der Parteisoldat

Die Großen in der Partei mögen ihn nicht: „Möge das Schicksal es verhindern, dass dieser Mensch einmal an die Spitze der Partei kommt. Man muss ihm nur in die Augen schauen, um zu wissen, wie hinterhältig und ehrlos er ist“, sagt die kommunistische Alterspräsidentin des Reichtages, Clara Zetkin, über den jungen Ulbricht. Und auch Teddy Thälmann hält wenig von ihm: „Ulbricht ist und bleibt ein Bürokrat.“ Seinen Aufstieg beeinflussen diese Urteile nicht.

Als der 1893 geborene Tischler Walter Ulbricht nach zwölf Jahren Emigration Ende April 1945 als Leiter einer neunköpfigen Gruppe hochrangiger KPD-Mitglieder aus Moskau nach Deutschland zurückkehrt, soll er die Berliner Stadtverwaltung sowie die örtliche KPD neu organisieren. Sein Genosse Wolfgang Leonhard spricht ihm alle Eigenschaften eines unerschütterlichen Parteisoldaten zu. „Sehr fleißig, ein genaues Gedächtnis, interessiert sich für Personalfragen…, Organisationsfragen, eine gewisse Bauernschläue … für alle anderen Sachen kein Interesse. Kein Interesse für Bücher, für Literatur, für Gemälde, für Musik, nichts.“

Ulbricht nimmt mit seinen glänzenden Verbindungen nach Moskau großen Einfluss auf die Besetzung wichtiger Posten. Er bekämpft den Sozialdemokratismus ebenso wie die deutsche Variante eines um Unabhängigkeit bemühten jugoslawischen „Titoismus“. Ebenso entschieden weist er jeden Versuch zurück, einen nicht mit Moskau abgestimmten deutschen Weg zum Sozialismus einzuschlagen. 1950 setzt er nach dem 3. Parteitag den Ausschluss von 150000 nicht linientreuen SED-Mitgliedern durch.

Die Besatzer belohnen seine Treue. Der Parteisoldat steigt als neuer Generalsekretär im Zentralkomitee der SED zum mächtigsten Mann in der DDR auf.

 

 Buch

Diese kleinen Geschichten sind nur einige von insgesamt 600 in den vier Bänden „Die Deutschen“, die der Piper-Verlag in den Jahren 2007/08 herausbrachte. Zu dem Projekt, das 2000 Seiten Text und zwölf DVD´s mit historischen Filmaufnahmen kombinierte, steuerte ich etwa 300 Texte bei.